Die Krise des Finanzsektors trifft vor allem gut qualifizierte Arbeitnehmer. (Keystone)Vom Stellenabbau sind immer mehr gutqualifizierte Arbeitnehmer betroffen. Neue Arbeitszeitmodelle – Teilzeit für alle - könnten Massenentlassungen verhindern. Die Teilzeitarbeit gilt bisher aber vor allem als gute Lösung für Frauen, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen.

"Die Belegschaft zögerte zuerst, aber jetzt wächst die Solidarität immer stärker", sagt Beat Ringger von der Gewerkschaft Syndikat. Seine Gewerkschaft und der Kaufmännische Verband Zürich fechten im Moment einen Arbeitskampf: Die Credit Suisse will am Hauptsitz der Versicherungstochter Winterthur insgesamt 350 Stellen abbauen, davon rund 150 Informatiker.

Um ihre Entlassung zu verhindern, fordern die Informatik-Fachleute ein neues Arbeitszeitmodell: Alle würden 20% weniger arbeiten, niemand erhält dafür die Kündigung. Die Lohneinbussen sollen zwischen Angestellten und Arbeitgeber geteilt werden.

CS-Sprecher Georg Söntgerath beschreibt die Haltung der CS so: "Wir suchen individuelle Lösungen. Eine generelle Arbeitszeit-Reduktion geht hier in die falsche Richtung. Die Stellen fallen durch die Zusammenlegung definitiv und nicht nur kurzfristig weg." Er betont auch, dass die Entlassungen von einem mit den Sozialpartnern abgesprochenen Massnahmenpaket begleitet würden.

« Alternative Arbeitszeitmodelle können Entlassungen abdämpfen. »

Norbert Thom, Betriebswirtschafter Arbeitszeitmodelle können Entlassungen verhindern "Wenn alternative Arbeitszeitmodelle rechtzeitig in Erwägung gezogen werden, können sie Entlassungen abdämpfen", sagt Professor Norbert Thom, Direktor des Instituts für Organisation und Personal der Universität Bern.

Er führt ein Beispiel aus Deutschland an, wo die Arbeitszeit der Bevölkerung einer ganzen Stadt verringert wurde: "Bei Volkswagen wurde 1994 die Viertage-Woche eingeführt." 30'000 Menschen am Hauptsitz Wolfsburg mussten so die gesunkene Nachfrage nach VW-Automobilen auffangen. "Grundsätzlich hat das funktioniert. Der Stadt wurden Massenentlassungen durch den grössten Arbeitsgeber erspart."

Problemlos sind solche Schritte aber nie: "Der Arbeitsplatz und das damit verbundene Einkommen sind zentral im Leben eines Menschen. Reduktionen gehen hier nie reibungslos ab."

Teilzeit vor allem für Frauen

In der Schweiz ist Teilzeitarbeit vor allem Sache der Frauen. Dies zeigt eine Studie im Auftrag des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung, welche die Schweizerische Arbeitkräfteerhebung 2001 (SAKE) ausgewertet hat: Vier von fünf Teilzeit-Arbeitnehmenden sind Frauen, eine knappe Million Frauen arbeitet Teilzeit. Fast die Hälfte davon sind Mütter mit Kindern unter 18 Jahren.

Als wichtigster Grund für die Teilzeitarbeit werden denn auch familiäre Gründe angegeben. Von den erwerbstätigen Vätern arbeiten 25% bis 40% teilzeitlich, um sich besser um die Kinder zu kümmern zu können.

Ein Teilzeit-Pensum haben am seltensten Männer mit abgeschlossener Berufslehre (7%) und in leitenden Funktionen (5%).

Teilzeit-Mann ist halber Mann

"Einerseits machen oft Arbeitsgeber den Männern Schwierigkeiten, andererseits fordern die Männer Teilzeitarbeit nicht genügend ein", sagt Daniel Huber von der Fachstelle UND, einer Beratungsstelle für die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben.

« Viele [Männer] sind froh, wenn sich die Frau um die Kinder kümmert. »

Daniel Huber, Fachstelle UND Wenn sich der Chef quer stellt, seien manche Männer jedoch nicht ganz unglücklich. "Viele sind froh, wenn sie weiter voll arbeiten können und sich die Frau um Haushalt und Kinder kümmert."

Besonders in Männerdomänen wie Bau oder Industrie sei Männer-Teilzeitarbeit weitgehend unbekannt und auf Kaderstufe dominierten oft alte Muster: "Der Chef muss immer im Büro präsent sein, glauben viele."

Ein Argument, das Betriebswirtschafter Thom nicht gelten lässt. Besonders in hochstehenden Kaderpositionen sei die effektive Arbeitszeit selten 100%: "Die Männer sind zwar Geschäftsführer, daneben aber noch Verwaltungsrats-Präsident, VR-Mitglied in andern Firmen, Offizier im Militär, Verbandspräsident und Nationalrat." Er verweist auf grosse Arbeitsgeber, die seit längerem verschiedene Arbeitszeitmodelle einsetzen.

Stadtverwaltung nach Mass

"Bei den Leuten gelten unsere Arbeitszeiten als 'Goodie'", sagt Werner Meile, stellvertretender Leiter des Personalamts der Stadt Bern. Den knapp 6000 städtischen Angestellten werden verschiedene Teilzeitmodelle angeboten. Ein Drittel der Arbeitnehmenden arbeiten denn auch Teilzeit.

Bei der Berufsfeuerwehr arbeiten bereits 85 Männer nach einem Lebensarbeitszeit-Modell: 42 statt 40 Stunden arbeiten und dafür früher in den Ruhestand oder einen Sabbatical einschalten.

Als die Steuererklärungen alle zwei Jahre eingereicht werden mussten, arbeiteten die Angestellten der Steuerverwaltung im Jahr Steuererhebung mehr, dafür im Zwischenjahr weniger. In der Literatur heisst dieses Modell "atmende Fabrik". "Mit der jährlichen Erhebung ist das jetzt hinfällig geworden", sagt Meile.

« Zu Hause gelingt die Abgrenzung zwischen Beruf und Privatem nicht immer. »

Norbert Thom, Betriebswirtschafter Telearbeit für Knowledge-Workers

Seit acht Jahren pilgern bei IBM Schweiz die Angestellten nicht mehr täglich ins Büro. 40% der rund 3000 Mitarbeitenden arbeiten vom Notebook zu Hause oder direkt von ihren Kunden aus.

"Sie kommen meist nur ein bis zwei Tage pro Woche ins Büro", erklärt Sprecherin Susan Orozco. Hinzu kämen gleitende Arbeitszeiten, die besonders bei jungen Eltern beliebt seien. Bei diesem Programm können alle Angestellten mitmachen, egal ob Teilzeit oder Vollzeit angestellt. "Wir arbeiten auf Vertrauensbasis, und die Beurteilung der Arbeit geschieht via Zielvereinbarungen, nicht via Präsenzkontrollen."

Die reine Telearbeit, also die totale Heimarbeit, sei in der Schweiz weniger verbreitet als in den Nachbarländern, sagt Thom. "Bei uns gibt es nicht die enormen Agglomerationen und Verkehrsstaus, die das nötig machen." Er sieht aber gute Chancen für die Berggebiete und für jene Erwerbspersonen, die er als "Knowledge-Workers" bezeichnet.

Er weist aber auch auf Gefahren hin: "Zu Hause gelingt die Abgrenzung zwischen Beruf und Privatem nicht immer, gewisse Menschen tendieren zur Selbstausbeutung. Es kann auch zu Isolationsproblemen kommen."

Zusammenhalt macht stark

Isolationsprobleme gibt es bei den von Entlassung bedrohten Informatikerinnen und Informatikern der Winterthur Versicherung keine, sie halten jetzt stärker zusammen als früher: Warnstreik, Plenarsitzungen, Treffen mit dem Unterhändler der Credit Suisse.

Gewerkschafter Ringger warnt aber vor zu grossen Hoffnungen: " Die Ergebnisse sind noch unbefriedigend, die Verhandlungen dauern an."

Quelle: swissinfo, Philippe Kropf